Bernhard Heinzlmaier, Vorsitzender des Instiuts für Jugendkulturforschung/Wien, im Interview mit Johannes Stadler/WU ZBP Career Center. Der dazugehörige Artikel „Die Beschleunigung – Social Media Tag und Nacht?“ wird in der Mai Ausgabe des „Karrieremagazin“ des WU ZBP Career Center erscheinen.

Gesellschaftliche Gegentrends und anti-digitale Freiräume
Bei vielen Menschen regt sich Widerstand gegen die totale Digitalisierung des Lebens. Kann man davon ausgehen, dass sie deswegen ihre Online-Zeiten reduzieren oder gar auf digitale Medien zu verzichten beginnen? Also ein Art gesellschaftlicher „Gegentrend“ entsteht?
Der Gegentrend wird im Mainstream der Gesellschaft nicht in einer totalen Abwendung von allen Formen und Instrumenten digitaler Kommunikation bestehen. Vielmehr wird es darum gehen, die digitale Kommunikation und Rezeption auf ein individuell erträgliches Maß zu reduzieren. Daher wird es wohl das vermehrte Verlangen nach digitalen Freiräumen geben, zum Beispiel Orte, an denen die digitale Kommunikation unerwünscht oder gar verboten ist. Ähnlich dem Rauchverbot in Zügen, Flugzeugen und Restaurants wäre auch ein Digital-Verbot denkbar. Wichtig wird hier wohl auch ein Verbot von Datenbrillen im öffentlichen Raum sein, weil es immer mehr Menschen geben wird, die ihre „Privacy“ wahren und nicht permanent von informellen MitarbeiterInnen der NSA angestarrt werden wollen.
Und wie werden die Menschen diese gewonnenen Freiräume bzw. diese gewonnene Zeit in der Zukunft nutzen?
Zur Erholung, Reflexion und zur Sinnfindung. Anstelle von Verhalten ohne Sinn und Verstand wird wieder ein bewussteres Handeln und Gestalten treten. Anstelle von Vernetzung und sinnfreier, belangloser Kommunikation wird wieder vermehrt das einfühlsame, auf Verständigung gerichtete Gespräch treten. Die rein instrumentelle Netzwerkkommunikation wird zurücktreten und auf Sympathie und Zuneigung gegründete zwischenmenschliche Beziehungen werden in den Vordergrund treten.
In Ihren Vorträgen und Publikationen beschreiben Sie ein unterschiedliches digitales Nutzungsverhalten bei Jugendlichen und Erwachsenen. Wird sich auch der gerade besprochene „Gegentrend“ auf beide Gruppen unterschiedlich auswirken?
Was wir jetzt sehen ist, dass sich in der Gruppe der Jugendlichen ein Segment radikaler Internet- und Vernetzungskritiker herausbildet, vor allem in den bildungsnahen Milieus. Besonders Jugendliche aus den Mittelschichten wollen ihre Eltern und Freunde nicht mehr länger mit Handys, Tablets und Datenbrillen teilen. Sie wollen wieder ungeteilte zwischenmenschliche Aufmerksamkeit. Viele scheuen auch die nervöse Oberflächlichkeit, die vom Digitalen verursacht wird, eine sozial akzeptierte Form der Krankheit ADHS. Sie wollen die Kluft zwischen Denken und Handeln schließen, sie wollen wieder nachdenken dürfen, bevor es zu Aktivitäten und Initiativen kommt.
In ihrem Buch „Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben“ schreiben Sie von der ständigen Erhöhung der Geschwindigkeit in allen Teilen unserer Gesellschaft. Was sind die Gründe dieser Beschleunigung?
Der Hauptgrund liegt wohl in der Vermarktwirtschaftlichung aller zwischenmenschlichen Beziehungsformen. Der Markt war schon immer die Hochgeschwindigkeitssphäre der Gesellschaft. Hier war immer schon Zeit Geld. Je totaler der Markt wird, desto totaler wird die Geschwindigkeit. Alles was der Markt ergreift, wird beschleunigt. Entschleunigte Zonen, Ruhezonen werden zur Seltenheit. Der Neoliberalismus ist Ursache der Beschleunigung. Depressionen und Burnout sind die Folgen.
Welche Chancen birgt vor allem für die „Multi-Media-Generation“ der Trend gegen die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche?
Neue Lebensqualitäten werden durch Ruhezonen und Entschleunigung entstehen. Die psychischen Erkrankungen werden zurückgehen; die Konzentrationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen wird steigen; die Menschen werden wieder rationaler handeln; die Zwischenmenschlichkeit wird solidarischer werden; kleine Gemeinschaften werden regeneriert werden oder neu entstehen; anstelle einer Kultur des Steigerungsspiels wird in Teilbereichen wieder eine Kultur des Ankommens, der Zufriedenheit mit dem, was erreicht wurde, treten. Instrumentelle Netzwerkbeziehungen werden durch aufrichtige Sympathiebeziehungen ersetzt werden.